Donnerstag, 31. Dezember 2015

Griechenland im Jahresrückblick


Die Vorgeschichte
Ab dem Jahr 2010 bekommt Griechenland Kredite von der sogenannten „Troika“ (EU-Kommission, EZB und IWF). Die Vertreter der Troika denken damals, dass ein strikter Sparkurs das Land nach dem Einbruch durch die Finanzkrise wieder wirtschaftlich auf die Beine bringt. Deshalb knüpfen sie die Gewährung der Kredite an die Bedingung, dass ein striktes Sparprogramm durchgesetzt wird.

Der IWF (dem hohe Kompetenz in Wirtschaftsfragen zugesprochen wird) prognostiziert im Jahr 2010, dass mit der Umsetzung des Sparprogramms das griechische BIP im Jahr 2011 zwar leicht sinken wird (um 1 %), schon 2012 jedoch wieder wachsen wird und dass die Arbeitslosigkeit im Jahr 2012 mit knapp 15 % ihren Höchststand erreichen wird.

Die Ökonomen des IWF übersehen jedoch, dass ein Sparkurs ohne Zinssenkungen der Zentralbank nicht zu einem Aufschwung führen kann – sondern die Krise nur verschärft.

Deshalb geht das griechische BIP im Jahr 2011 nicht um 1 % zurück, sondern um 9 % (!). Im Jahr 2012 beträgt das Wachstum nicht +1 %, wie prognostiziert, sondern die Wirtschaft bricht um weitere 7 % ein. Die Arbeitslosigkeit steigt bis 2013 auf 27 %. Bis Ende 2014 geht die Wirtschaftsleistung insgesamt um knapp ein Viertel zurück, die Arbeitslosigkeit verbleibt auf dem hohen Niveau, die Jungendarbeitslosigkeit steigt auf Werte jenseits der 60 % und die Anzahl der Selbstmorde steigt stark an.

Das Experiment, Griechenland durch einen Sparkurs zu heilen, ist auf allen Linien gescheitert. Für jeden, der nicht nur deutsche Medien verfolgt, ist das offensichtlich.


Die folgende Übersicht stellt die Situation auf dem Kreditmarkt am Ende des Jahres 2014 dar:
Die griechische Wirtschaft finanziert sich teilweise auf den Finanzmärkten, hauptsächlich jedoch durch Kredite der Troika, die an die Einhaltung des Sparkurses gebunden sind. Eine zusätzliche Finanzierungsquelle ist der übliche Weg durch das griechische Bankensystem, welches wiederum Refinanzierungs-kredite von der EZB erhält (mit griechischen Staatsanleihen als Sicherheit).


Das Jahr 2015

25. Januar – Syriza gewinnt Parlamentswahl

Die Folgen der Sparpolitik und die Verarmung der Bevölkerung führen zum Wahlsieg der linken Partei Syriza, die verspricht, den radikalen Sparkurs zu beenden. Am Tag darauf wird Syriza-Chef Tsipras zum neuen Ministerpräsident ernannt und verspricht die Auflagen für die Kredite neu zu verhandeln.

Die Troika sieht dadurch die Bedingungen für die Kredite nicht mehr erfüllt und stoppt das Kreditprogramm. Die Märkte werden nervös und stoppen ebenfalls ihre Kredite an Griechenland. Es bleibt die übliche Finanzierung durch den Bankensektor, um die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen.


4. Februar – EZB verschärft Kreditbedingungen

Kurz darauf beschließt die EZB griechische Staatsanleihen zukünftig nicht mehr als Sicherheit für Refinanzierungskredite zu akzeptieren. Es bleiben die sogenannten „ELA-Kredite“ der EZB. Das sind Notkredite, die von der jeweiligen Zentralbank gewährt werden, um den Kollaps des Bankensystems eines Landes zu verhindern.

Es vergeht nun einige Zeit mit Verhandlungen zwischen der Troika – angeführt von der deutschen Bundesregierung – und der griechischen Regierung; ohne Erfolg. Die Troika gibt kein Stück nach und bietet Kredite nur gegen harte Sparauflagen an. Tsipras hatte jedoch vor der Wahl versprochen, den strikten Sparkurs zu beenden und akzeptiert deshalb nicht.


26. Juni – Tsipras kündigt Referendum an

Kurz bevor eine Rate des IWF fällig wird, erklärt Tsipras, ein Referendum über die Sparmaßnahmen abhalten zu wollen. Sollte Griechenland mit Ja stimmen, werde er dem Angebot der Troika zustimmen. Falls Griechenland mit Nein stimme, erhoffe er sich eine bessere Verhandlungsposition mit der Troika, die den demokratischen Willen eines Mitgliedslandes dann hoffentlich nicht ignoriert.


28. Juni – EZB stoppt ELA-Kredite

Führende EU-Politiker verurteilen Tsipras' Plan, das Volk zu befragen. Der Präsident der EU-Kommission sagt, er fühle sich durch die Ankündigung des Referendums verraten. Der Präsident des EU-Parlaments bezeichnet das Referendum als manipulativ. Der Chef der Eurogruppe sowie hohe Politiker der EU-Staaten drohen, dass Griechenland aus dem Euro geworfen wird, sollte das Volk mit Nein stimmen. Zusätzlich schneidet die EZB das griechische Bankensystem nun völlig von der Liquiditäts-versorgung ab, indem sie ab sofort keine zusätzlichen ELA-Notkredite mehr gewährt.


29. Juni – Banken werden geschlossen

Die griechische Regierung lässt sich jedoch nicht einschüchtern. Sie lässt alle Banken schließen und schränkt den Zahlungsverkehr stark ein. Griechische Bankkunden können daraufhin nur noch   60 € täglich abheben, damit das verbleibende Bargeld der Banken ausreicht bis das Referendum abgehalten ist und es eine Einigung mit der Troika gibt.


30. Juni – Griechenland zahlt IWF-Rate nicht

In der Konsequenz zahlt Griechenland auch die Rate des IWF-Kredits nicht zurück und ist damit offiziell im Zahlungsverzug.


5. Juli – Referendum

Das Referendum ist ein großer Erfolg für Tsipras und die griechische Regierung. Über 61 % der Wähler stimmen gegen den Sparkurs, nur 39 % dafür.

Die Troika ist vom Ergebnis des Referendums allerdings nicht beeindruckt und bietet nur ein noch strikteres Sparprogramm an – das Angebot von vor dem Referendum hat die Troika mittlerweile zurückgezogen.

Tage vergehen.

Griechenlands Banken verlieren mit jedem Tag an Liquidität, sind aber von der Liquiditätsversorgung der EZB abgeschnitten. Griechenlands Bankensektor wird also innerhalb kurzer Zeit kollabieren, wenn nichts geschieht.


13. Juli – Tsipras akzeptiert

Nach 17-stündigen Verhandlungen akzeptiert Tsipras schließlich das noch striktere Sparprogramm um den Zusammenbruch des Bankensektors zu verhindern. Mit Stimmen der Opposition passiert es zwei Tage später das Parlament.


20. August – Tsipras tritt zurück

Da ein Teil der Syriza-Abgeordneten die Kehrtwende des Ministerpräsidenten nicht mitträgt und Tsipras dadurch keine Mehrheit im Parlament mehr hat, tritt er zurück und macht den Weg für Neuwahlen frei.


20. September – Tsipras gewinnt Neuwahlen

Die Wahlbeteiligung geht aus Frust über die Ohnmacht der griechischen Regierung zurück. Dennoch wird Tsipras mit großer Mehrheit wiedergewählt.


4. Oktober – Wahlen in Portugal

Eine Gruppe linker Parteien gewinnt die Wahlen in Portugal. Die Regierungspartei, die einen Sparkurs verfolgt hatte, ist damit abgewählt. Der neue Regierungschef, der gewählt wurde um die Sparpolitik zu beenden, sagt nach den Wahlen trotzdem zu, die EU-Vorschriften bezüglich der Staatsfinanzen einzuhalten – vielleicht abgeschreckt vom Umgang der Troika mit Griechenland.


20. Dezember – Wahlen in Spanien

In Spanien verliert die konservative Regierungspartei, die den Sparkurs umgesetzt hatte, die absolute Mehrheit und erhält nur noch 29 % der Stimmen. Die neu gegründete Partei Podemos, deren Hauptziel ein Ende des harten Sparkurses ist, erhält aus dem Stand 20 % der Stimmen. Das Ergebnis reicht zwar vielleicht noch für eine Koalition der Sparkurs-Befürworter. Der zunehmende Widerstand gegen die Sparpolitik wird dennoch deutlich.


Die Rolle der EZB
Große Aufmerksamkeit verdient das Verhalten der EZB im Griechenland-Drama. Das Folgende Zitat aus dem August 2015 stammt von Benoît Cœuré, einem Mitglied des EZB-Direktoriums:

Bankenaufseher bei der EZB haben eine neue Prüfung der Qualität von Vermögenswerten sowie einen Stresstest für Griechenlands vier größte Banken begonnen. Diese Kreditinstitute waren adäquat kapitalisiert, sie operieren jedoch jetzt in einem extrem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld und notleidende Kredite werden wahrscheinlich in den nächsten Jahren zunehmen. *

Er sagt also – in einem Interview, das auf der offiziellen Seite der EZB zu lesen ist – dass die griechischen Banken „adäquat kapitalisiert“ waren, nun jedoch große Probleme haben. Irgendetwas muss also passiert sein, das die Banken an den Rand des Bankrotts gebracht hat. Das einzige wichtige Ereignis, das die Banken betrifft und kurz zuvor stattgefunden hatte, war die Verweigerung der Notkredite durch die EZB.

Wer nun eins und eins zusammenzählt, kommt zu dem Schluss, dass die EZB aus politischem Kalkül das funktionierende, griechische Bankensystem destabilisiert hat und dadurch dem griechischen Bankensystem langfristig Schaden zugefügt hat – wirtschaftlich waren die Banken laut Cœuré schließlich in Ordnung.

So etwas ist der EZB natürlich nicht erlaubt! Wenn die griechischen Banken tatsächlich hinreichend Eigenkapital hatten, dann handelt es sich um einen klaren Machtmissbrauch der Troika. Die EZB darf nicht ihre Aufgabe als Zentralbank aller Euroländer – und damit als Zentralbank Griechenlands – vernachlässigen; erst recht nicht aus politischen Gründen.


Was lernen wir?
Das Jahr 2015 und die Griechenland-Krise war wichtig für die Zukunft Europas. Nicht weil Griechenland eine große Volkswirtschaft wäre und deshalb den Rest Europas wirtschaftlich gefährden könnte; sondern weil sich zum ersten mal ein Land der Eurozone gegen das Spardiktat der Troika – unter Führung von Merkel und Schäuble – aufgelehnt hat und man die Reaktionen sehen konnte.

Im Fall Griechenlands war es eine pro-europäische, linke Regierung, die ihren Wählern versprochen hatte, die harten Sparauflagen zu lockern, die das Land nachweislich in eine katastrophale Wirtschaftskrise gestürzt haben.

Die Antwort der Troika war eindeutig. Der demokratische Wille des griechischen Volks wurde unterdrückt und mit einer Destabilisierung des griechischen Bankensektors wurde Griechenland gezwungen, den Sparkurs in aller Härte fortzusetzen.

Dieses Vorgehen hat der Troika kurzfristig Erfolg gebracht: Griechenland ist zurück auf einem Sparkurs; auch Portugal und (vermutlich) Spanien setzen ihren Sparkurs nach den Wahlen weiter um.

Wenn die Troika diese Politik fortsetzt, lässt sie den Menschen in Europa allerdings keine andere Möglichkeit, die destruktiven Spardiktate zu beenden, als rechte, nationalistische Parteien zu wählen, die Europa den Mittelfinger zeigen und aus dem Euro austreten. Gerade die undemokratische und ggf. illegale Durchsetzung der Sparpolitik, die so vielen Menschen Not und Elend bringt, erzeugt Hass auf Europa und treibt die Menschen in die Hände von Anti-Europäern und Nationalisten. Wenn die europäischen Institutionen ihre Politik in den nächsten Jahren nicht ändern, werden rechte Bewegungen weiter erstarken.

Die rechte Gefahr birgt jedoch auch eine Chance: Vielen Regierungschefs der Eurozone müsste bald bewusst werden, dass sie ihren Job an rechtsextreme Kontrahenten verlieren können, wenn sie das deutsche Spardiktat weiter tolerieren. Hoffentlich lehnen sie sich dann gegen die von der Bundesregierung vorangetriebene europäische Sparpolitik auf. Dafür hätten sie seit diesem Jahr potentielle Verbündete in Griechenland und Portugal. Eine solche Allianz könnte Merkel und Schäuble in einen Diskurs zwingen und bewirken, dass die Bundesregierung ihre Wirtschaftspolitik fundamental ändert, was für die Lösung der Eurokrise extrem wichtig ist.

Große Hoffnungen für das Jahr 2016…


* “banking supervisors at the ECB have started a new asset quality review and stress test for Greece’s four major banks. Those credit institutions were adequately capitalised, but they are now operating in an extremely difficult economic environment, and non-performing loans are likely to increase in the next few years.” ECB: Interview of Benoît Cœuré, Member of the Executive Board of the ECB


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