Die Vorgeschichte
Ab dem Jahr 2010 bekommt Griechenland Kredite von
der sogenannten „Troika“ (EU-Kommission, EZB und IWF). Die Vertreter der Troika
denken damals, dass ein strikter Sparkurs das Land nach dem Einbruch durch die
Finanzkrise wieder wirtschaftlich auf die Beine bringt. Deshalb knüpfen sie die
Gewährung der Kredite an die Bedingung, dass ein striktes Sparprogramm durchgesetzt
wird.
Der IWF (dem hohe Kompetenz in Wirtschaftsfragen zugesprochen
wird) prognostiziert im Jahr 2010, dass mit der Umsetzung des Sparprogramms das
griechische BIP im Jahr 2011 zwar leicht sinken wird (um 1 %), schon 2012 jedoch
wieder wachsen wird und dass die Arbeitslosigkeit im Jahr 2012 mit knapp 15 %
ihren Höchststand erreichen wird.
Die Ökonomen des IWF übersehen jedoch, dass ein
Sparkurs ohne Zinssenkungen der Zentralbank nicht zu einem Aufschwung führen
kann – sondern die Krise nur verschärft.
Deshalb geht das griechische BIP im Jahr 2011 nicht
um 1 % zurück, sondern um 9 % (!). Im Jahr 2012 beträgt das Wachstum nicht +1 %,
wie prognostiziert, sondern die Wirtschaft bricht um weitere 7 % ein. Die
Arbeitslosigkeit steigt bis 2013 auf 27 %. Bis Ende 2014 geht die
Wirtschaftsleistung insgesamt um knapp ein Viertel zurück, die Arbeitslosigkeit verbleibt
auf dem hohen Niveau, die Jungendarbeitslosigkeit steigt auf Werte jenseits der
60 % und die Anzahl der Selbstmorde steigt stark an.
Das Experiment, Griechenland durch einen Sparkurs
zu heilen, ist auf allen Linien gescheitert. Für jeden, der nicht nur deutsche Medien
verfolgt, ist das offensichtlich.
Die folgende Übersicht stellt die Situation auf dem
Kreditmarkt am Ende des Jahres 2014 dar:
Die griechische Wirtschaft finanziert sich teilweise
auf den Finanzmärkten, hauptsächlich jedoch durch Kredite der Troika, die an
die Einhaltung des Sparkurses gebunden sind. Eine zusätzliche
Finanzierungsquelle ist der übliche Weg durch das griechische Bankensystem,
welches wiederum Refinanzierungs-kredite von der EZB erhält (mit griechischen
Staatsanleihen als Sicherheit).
Das Jahr 2015
25. Januar – Syriza gewinnt Parlamentswahl
Die Folgen der Sparpolitik und die Verarmung der
Bevölkerung führen zum Wahlsieg der linken Partei Syriza, die verspricht, den
radikalen Sparkurs zu beenden. Am Tag darauf wird Syriza-Chef Tsipras zum neuen
Ministerpräsident ernannt und verspricht die Auflagen für die Kredite neu zu
verhandeln.
Die Troika sieht dadurch die Bedingungen für die
Kredite nicht mehr erfüllt und stoppt das Kreditprogramm. Die Märkte werden
nervös und stoppen ebenfalls ihre Kredite an Griechenland. Es bleibt die
übliche Finanzierung durch den Bankensektor, um die Wirtschaft mit Liquidität zu
versorgen.
4. Februar – EZB verschärft Kreditbedingungen
Kurz darauf beschließt die EZB griechische
Staatsanleihen zukünftig nicht mehr als Sicherheit für Refinanzierungskredite
zu akzeptieren. Es bleiben die sogenannten „ELA-Kredite“ der
EZB. Das sind Notkredite, die von der jeweiligen Zentralbank gewährt werden, um
den Kollaps des Bankensystems eines Landes zu verhindern.
Es vergeht nun einige Zeit mit Verhandlungen zwischen der Troika – angeführt von der deutschen Bundesregierung – und der griechischen Regierung; ohne Erfolg. Die Troika gibt kein Stück nach und bietet Kredite nur gegen harte Sparauflagen an. Tsipras hatte jedoch vor der Wahl versprochen, den strikten Sparkurs zu beenden und akzeptiert deshalb nicht.
Es vergeht nun einige Zeit mit Verhandlungen zwischen der Troika – angeführt von der deutschen Bundesregierung – und der griechischen Regierung; ohne Erfolg. Die Troika gibt kein Stück nach und bietet Kredite nur gegen harte Sparauflagen an. Tsipras hatte jedoch vor der Wahl versprochen, den strikten Sparkurs zu beenden und akzeptiert deshalb nicht.
26. Juni – Tsipras kündigt Referendum an
Kurz bevor eine Rate des IWF fällig wird, erklärt Tsipras,
ein Referendum über die Sparmaßnahmen abhalten zu wollen. Sollte Griechenland
mit Ja stimmen, werde er dem Angebot der Troika zustimmen. Falls Griechenland
mit Nein stimme, erhoffe er sich eine bessere Verhandlungsposition mit der
Troika, die den demokratischen Willen eines Mitgliedslandes dann hoffentlich
nicht ignoriert.
28. Juni – EZB stoppt ELA-Kredite
Führende EU-Politiker verurteilen Tsipras' Plan, das
Volk zu befragen. Der Präsident der EU-Kommission sagt, er fühle sich durch die
Ankündigung des Referendums verraten. Der Präsident des EU-Parlaments
bezeichnet das Referendum als manipulativ. Der Chef der Eurogruppe sowie hohe
Politiker der EU-Staaten drohen, dass Griechenland aus dem Euro geworfen wird,
sollte das Volk mit Nein stimmen. Zusätzlich schneidet die EZB das griechische
Bankensystem nun völlig von der Liquiditäts-versorgung ab, indem sie ab sofort
keine zusätzlichen ELA-Notkredite mehr gewährt.
29. Juni – Banken werden geschlossen
Die griechische Regierung lässt sich jedoch nicht
einschüchtern. Sie lässt alle Banken schließen und schränkt den Zahlungsverkehr
stark ein. Griechische Bankkunden können daraufhin nur noch 60 € täglich
abheben, damit das verbleibende Bargeld der Banken ausreicht bis das Referendum
abgehalten ist und es eine Einigung mit der Troika gibt.
30. Juni – Griechenland zahlt IWF-Rate nicht
In der Konsequenz zahlt Griechenland auch die Rate
des IWF-Kredits nicht zurück und ist damit offiziell im Zahlungsverzug.
5. Juli – Referendum
Das Referendum ist ein großer Erfolg für Tsipras
und die griechische Regierung. Über 61 % der Wähler stimmen gegen den Sparkurs,
nur 39 % dafür.
Die Troika ist vom Ergebnis des Referendums allerdings
nicht beeindruckt und bietet nur ein noch strikteres Sparprogramm an – das
Angebot von vor dem Referendum hat die Troika mittlerweile zurückgezogen.
Tage vergehen.
Griechenlands Banken verlieren mit jedem Tag an Liquidität,
sind aber von der Liquiditätsversorgung der EZB abgeschnitten. Griechenlands
Bankensektor wird also innerhalb kurzer Zeit kollabieren, wenn nichts
geschieht.
13. Juli – Tsipras akzeptiert
Nach 17-stündigen Verhandlungen akzeptiert Tsipras
schließlich das noch striktere Sparprogramm um den Zusammenbruch des
Bankensektors zu verhindern. Mit Stimmen der Opposition passiert es zwei Tage
später das Parlament.
20. August – Tsipras tritt zurück
Da ein Teil der Syriza-Abgeordneten die Kehrtwende
des Ministerpräsidenten nicht mitträgt und Tsipras dadurch keine Mehrheit im
Parlament mehr hat, tritt er zurück und macht den Weg für Neuwahlen frei.
20. September – Tsipras gewinnt Neuwahlen
Die Wahlbeteiligung geht aus Frust über die
Ohnmacht der griechischen Regierung zurück. Dennoch wird Tsipras mit großer
Mehrheit wiedergewählt.
4. Oktober – Wahlen in Portugal
Eine Gruppe linker Parteien gewinnt die Wahlen in
Portugal. Die Regierungspartei, die einen Sparkurs verfolgt hatte, ist damit
abgewählt. Der neue Regierungschef, der gewählt wurde um die Sparpolitik zu
beenden, sagt nach den Wahlen trotzdem zu, die EU-Vorschriften bezüglich der
Staatsfinanzen einzuhalten – vielleicht abgeschreckt vom Umgang der Troika mit
Griechenland.
20. Dezember – Wahlen in Spanien
In Spanien verliert die konservative
Regierungspartei, die den Sparkurs umgesetzt hatte, die absolute Mehrheit und
erhält nur noch 29 % der Stimmen. Die neu gegründete Partei Podemos, deren Hauptziel
ein Ende des harten Sparkurses ist, erhält aus dem Stand 20 % der Stimmen. Das Ergebnis
reicht zwar vielleicht noch für eine Koalition der Sparkurs-Befürworter. Der zunehmende
Widerstand gegen die Sparpolitik wird dennoch deutlich.
Die Rolle der EZB
Große Aufmerksamkeit verdient das Verhalten der EZB
im Griechenland-Drama. Das Folgende Zitat aus dem August 2015 stammt von Benoît
Cœuré, einem Mitglied des EZB-Direktoriums:
“Bankenaufseher bei der EZB haben eine neue Prüfung der Qualität von Vermögenswerten sowie einen Stresstest für Griechenlands vier größte Banken begonnen. Diese Kreditinstitute waren adäquat kapitalisiert, sie operieren jedoch jetzt in einem extrem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld und notleidende Kredite werden wahrscheinlich in den nächsten Jahren zunehmen.” *
Er sagt also – in einem Interview, das auf der
offiziellen Seite der EZB zu lesen ist – dass die griechischen Banken „adäquat
kapitalisiert“ waren, nun jedoch große Probleme haben. Irgendetwas muss also passiert
sein, das die Banken an den Rand des Bankrotts gebracht hat. Das einzige
wichtige Ereignis, das die Banken betrifft und kurz zuvor stattgefunden hatte, war die Verweigerung der Notkredite durch die EZB.
Wer nun eins und eins zusammenzählt, kommt zu dem
Schluss, dass die EZB aus politischem Kalkül das funktionierende, griechische
Bankensystem destabilisiert hat und dadurch dem griechischen Bankensystem langfristig
Schaden zugefügt hat – wirtschaftlich waren die Banken laut Cœuré schließlich
in Ordnung.
So etwas ist der EZB natürlich nicht erlaubt! Wenn die
griechischen Banken tatsächlich hinreichend Eigenkapital hatten, dann handelt
es sich um einen klaren Machtmissbrauch der Troika. Die EZB darf nicht ihre
Aufgabe als Zentralbank aller Euroländer – und damit als Zentralbank
Griechenlands – vernachlässigen; erst recht nicht aus politischen Gründen.
Was lernen wir?
Das Jahr 2015 und die Griechenland-Krise war wichtig
für die Zukunft Europas. Nicht weil Griechenland eine große Volkswirtschaft
wäre und deshalb den Rest Europas wirtschaftlich gefährden könnte; sondern weil
sich zum ersten mal ein Land der Eurozone gegen das Spardiktat der Troika –
unter Führung von Merkel und Schäuble – aufgelehnt hat und man die Reaktionen sehen konnte.
Im Fall Griechenlands war es eine pro-europäische,
linke Regierung, die ihren Wählern versprochen hatte, die harten Sparauflagen
zu lockern, die das Land nachweislich in eine katastrophale Wirtschaftskrise
gestürzt haben.
Die Antwort der Troika war eindeutig. Der
demokratische Wille des griechischen Volks wurde unterdrückt und mit einer Destabilisierung
des griechischen Bankensektors wurde Griechenland gezwungen, den Sparkurs in
aller Härte fortzusetzen.
Dieses Vorgehen hat der Troika kurzfristig Erfolg
gebracht: Griechenland ist zurück auf einem Sparkurs; auch Portugal und (vermutlich)
Spanien setzen ihren Sparkurs nach den Wahlen weiter um.
Wenn die Troika diese Politik fortsetzt, lässt sie
den Menschen in Europa allerdings keine andere Möglichkeit, die destruktiven
Spardiktate zu beenden, als rechte, nationalistische Parteien zu wählen, die
Europa den Mittelfinger zeigen und aus dem Euro austreten. Gerade die
undemokratische und ggf. illegale Durchsetzung der Sparpolitik, die so vielen
Menschen Not und Elend bringt, erzeugt Hass auf Europa und treibt die Menschen
in die Hände von Anti-Europäern und Nationalisten. Wenn die europäischen Institutionen
ihre Politik in den nächsten Jahren nicht ändern, werden rechte Bewegungen weiter
erstarken.
Die rechte Gefahr birgt jedoch auch eine Chance: Vielen
Regierungschefs der Eurozone müsste bald bewusst werden, dass sie ihren Job an rechtsextreme
Kontrahenten verlieren können, wenn sie das deutsche Spardiktat weiter tolerieren.
Hoffentlich lehnen sie sich dann gegen die von der Bundesregierung vorangetriebene
europäische Sparpolitik auf. Dafür hätten sie seit diesem Jahr potentielle
Verbündete in Griechenland und Portugal. Eine solche Allianz könnte Merkel und
Schäuble in einen Diskurs zwingen und bewirken, dass die Bundesregierung ihre
Wirtschaftspolitik fundamental ändert, was für die Lösung der Eurokrise extrem
wichtig ist.
Große Hoffnungen für das Jahr 2016…
* “banking supervisors at the ECB have started a
new asset quality review and stress test for Greece’s four major banks. Those
credit institutions were adequately capitalised, but they are now operating in
an extremely difficult economic environment, and non-performing loans are
likely to increase in the next few years.” ECB: Interview of Benoît Cœuré,
Member of the Executive Board of the ECB
Bilder von https://iglinavos.wordpress.com/2015/02/