“Mittlerweile ist das
europäische Ungleichgewichts-Problem ein deutsches Problem, verursacht durch
Deutschlands andauerndes Versagen, Lohn- und Preissteigerungen zu haben, die im
Einklang damit sind, was der Euro verlangt. Diese deutsche Unterbewertung
exportiert wiederum Deflation in den Rest Europas. Im Gegensatz dazu haben sich Frankreich, Spanien und sogar Italien an die Regeln gehalten.” 1
Paul Krugman,
Nobelpreisträger der Ökonomie
“Was jedoch ein
Problem ist, ist dass Deutschland effektiv beschlossen hat, sich auf
ausländische, anstatt auf inländische Nachfrage, zu verlassen, um
Vollbeschäftigung im Inland zu sichern, wie der außerordentlich hohe und
anhaltende Handelsüberschuss von derzeit fast 7,5 % des deutschen BIP zeigt. In
einem System fester Wechselkurse wie der Euro-Währungsunion sind solche
andauernde Ungleichgewichte schädlich. … Wichtig ist, dass Deutschlands
Handelsüberschuss die ganze Last der Anpassung den Ländern mit Handelsdefiziten
aufbürdet, die eine schmerzvolle Deflation der Löhne und
anderer Kosten durchmachen müssen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Deutschland könnte helfen, ein Gleichgewicht in der Eurozone wiederherzustellen … durch höhere Ausgaben im Inland, etwa dadurch, die Investitionen in Infrastruktur zu erhöhen [und] durch Fördern von Lohnerhöhungen für deutsche Arbeitnehmer.” 2
anderer Kosten durchmachen müssen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Deutschland könnte helfen, ein Gleichgewicht in der Eurozone wiederherzustellen … durch höhere Ausgaben im Inland, etwa dadurch, die Investitionen in Infrastruktur zu erhöhen [und] durch Fördern von Lohnerhöhungen für deutsche Arbeitnehmer.” 2
Ben Bernanke, Chef
der US-Notenbank, 2008–2014
“Die deutsche
Inflation, die unterhalb dem Rest der Eurozone war, wird für einige Zeit über
dem Rest der Eurozone sein müssen. Das sind die Spielregeln für eine
Währungsunion.
Da Deutschland der
Ausreißer ist, handelt es sich um ein von Deutschland verursachtes Problem. …
Einen Preis, den es dafür bezahlen sollte, seine Nachbarn zu unterbieten, ist,
eine Zeit mit einer Inflation oberhalb des EZB-Ziels (z.B. 3%
Verbraucherpreis-Inflation, was wahrscheinlich nominale Lohnerhöhungen von etwa
4 bis 5 % bedeutet). Wenn das nicht von selbst passiert, sollte Deutschland
seine Wirtschaft anregen, um sicherzustellen, dass es passiert.” 3
Simon Wren-Lewis, Professor für
Ökonomie an der Oxford University
“Hätte Deutschland nicht so eklatant versagt,
hätte die Währungsunion durchaus funktionieren können, weil bei den meisten
Ländern der Wille da war, sich an das Inflationsziel von etwa zwei Prozent
anzupassen. Hätte man die Bedeutung dieses Ziels von Anfang an verstanden,
hätte man auch frühzeitig eingreifen können, um das Schlimmste zu verhindern.
Fast alle Probleme in Europa ließen sich lösen,
weil der Merkantilismus in erster Linie ein deutsches Phänomen ist” 4
Heiner Flassbeck,
Chef-Ökonom der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, 2003–2012
“Es wird dabei die Rolle Deutschlands, des mit Abstand
größten Mitgliedstaats, und sein Beitrag zu den Ungleichgewichten in den Jahren
vor der Krise vernachlässigt. … Für ein optimales Funktionieren der Eurozone
sollten die Lohnstückkosten jedes Mitgliedstaats im Einklang mit der
Inflationsrate der EZB steigen. Dies würde zu nationalen Inflationsraten nahe der
Zielrate der EZB führen. Gemessen an diesem Maßstab … waren die Löhne der
deutschen Volkswirtschaft im Jahr 2008 fast 20 % zu niedrig.” 5
Peter Bofinger, Mitglied
des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung
Konsumenten deutscher
Medien haben mit Sicherheit Schwierigkeiten, diese Aussagen der angesehensten
Ökonomen der Welt zu verstehen.
Doch keine Angst – man
braucht dafür keinen Doktortitel. Die Schlussfolgerungen ergeben sich aus ein paar
simplen ökonomischen Zusammenhängen. Das Problem ist nur, dass diese in den
deutschen Medien größtenteils verschwiegen bzw. falsch dargestellt werden.
Dieser Beitrag
erklärt die Zusammenhänge und macht die Eurokrise für jeden klar verständlich.
Die Eurokrise
verstehen und beenden
Bereits in der Zeit
vor der Einführung des Euro – mit unterschiedlichen Währungen in Europa – war
die Wirtschaftspolitik der verschiedenen Länder in Europa weitgehend unabhängig
voneinander und damit sehr heterogen. Auch damals hatte beispielsweise Italien
eine geringere Produktivität als Deutschland und Griechenland ein ineffizientes
Steuersystem. Dennoch gab es damals keine großen Probleme im Handel zwischen
den Staaten. Der Grund dafür war ein Ausgleichsmechanismus, der mittelfristig
Ungleichgewichte beseitigte: eine Anpassung des Wechselkurses.
Man nehme eine
Situation an, in der kein Ungleichgewicht bestand. Jedes Land exportierte etwa
so viel, wie es importierte. Kein Land häufte übermäßig Schulden bzw.
Forderungen gegen ein anderes Land an.
Es kam nun des
Öfteren vor, dass beispielsweise Italien über einige Jahre hinweg eine relativ
expansive Wirtschaftspolitik fuhr – Deutschland hingegen eine vergleichsweise
restriktive Politik. (Man vernachlässige zur Einfachheit die anderen Länder.) Dadurch
hatte Italien eine höhere Inflation als Deutschland. (Inflation ist der
jährliche Anstieg des „Preisniveaus“, also der durchschnittlichen Preise in
einem Land) Das bedeutete, dass italienische Produkte – verglichen mit
deutschen – dann teurer waren als vorher. Die Folge war, dass Italiener anfingen
auf deutsche Produkte zu wechseln und Deutsche statt italienischer Importe
vermehrt heimische Produkte kauften.
Die italienische
Nachfrage nach Gütern war zu hoch – höher als das Angebot an italienischen
Gütern. Die deutsche Nachfrage nach Gütern war zu gering – relativ zum
deutschen Güterangebot. Italien hatte ein Exportdefizit (mehr Importe als
Exporte), Deutschland den entsprechenden Überschuss (mehr Exporte als Importe).
Italien wurde zum Schuldner, Deutschland baute Forderungen auf.
Dieses
Ungleichgewicht ließ sich einfach beheben, da jedes Land seine eigene Währung
hatte und man den Wechselkurs zwischen den Währungen ändern konnte. Die
italienische Währung (Lira) musste abwerten (eine Lira wurde dann weniger DM
wert). Die deutsche Währung (DM) musste aufwerten (für eine DM bekam man dann
mehr Lire).
Die Folge war, dass
deutsche Güter – im Vergleich zu italienischen – wieder teurer wurden. Die
Italiener bekamen nämlich für eine Lira weniger DM, sie mussten also mehr Lire
für ein deutsches Produkt bezahlen. Italienische Produkte wurden entsprechend (relativ)
billiger.
Das führte dazu, dass
Italiener wieder zurück auf italienische Güter wechselten und Deutsche wieder
mehr Importe aus Italien nachfragten. Jedes Land exportierte dann wieder ungefähr
so viel, wie es importierte. Das Ungleichgewicht war behoben.
Nun hat man das
System flexibler Wechselkurse und damit den Anpassungsmechanismus im Jahr 1999
aufgegeben und stattdessen eine Einheitswährung eingeführt: den Euro. Jedes teilnehmende
Land hat seitdem einen unveränderlichen Wechselkurs von eins zu eins mit jedem
anderen Land der Währungsunion. Man bekommt z.B. für einen deutschen Euro immer
genau einen italienischen Euro. Eine Anpassung des
Wechselkurses ist seitdem nicht mehr möglich.
Weise Politiker hätten versucht,
einen anderen Mechanismus zu installieren, der ohne die Möglichkeit von Auf-
und Abwertungen ein Auseinanderlaufen der Preisniveaus verhindert – und damit Ungleichgewichten
vorbeugt. Das ist leider nicht geschehen.
Stattdessen hat die
deutsche Politik (bewusst oder unbewusst) eine andere Strategie verfolgt: Den
Wegfall des Ausgleichmechanismus nutzen, um ein Ungleichgewicht zu erzeugen,
von dem Deutschland auf Kosten der anderen profitiert.
Durch extrem restriktive
Wirtschaftspolitik (Stichwort Agenda 2010) wurde die deutsche Güternachfrage
stark gebremst und damit die Inflation deutlich unter der durchschnittlichen
Inflation der Eurozone gehalten. Deutsche Produkte wurden Jahr für Jahr
billiger – relativ zu Produkten aus dem Rest der Eurozone. Das führte dazu,
dass das deutsche Preisniveau mittlerweile deutlich unter dem Rest der Eurozone
liegt.
Deutschland
exportiert mehr als es importiert, andere Länder importieren mehr als sie
exportieren.
Spätestens in der
Folge der Finanzkrise von 2008, als dieses Ungleichgewicht offensichtlich wurde,
hätte man eine gemeinsame Lösung zur Behebung der Krise suchen müssen. Die naheliegende
Lösung wäre gewesen, durch eine aktivere Wirtschaftspolitik in Deutschland für
einige Zeit eine höhere Inflation zu erlauben, während die Defizitländer durch
restriktivere Maßnahmen ihre Inflation für einige Zeit niedriger halten. Das hätte
die relativen Preisniveaus wieder angeglichen und das Ungleichgewicht behoben –
genau das, was eine Aufwertung der DM bewirkt hätte.
Man versuchte jedoch einen
anderen Weg: Austerität in den Defizitländern ohne Anpassung in Deutschland. Zu
Beginn dachten nämlich viele, dass eine relative Preisniveausenkung in den
Defizitländern durch strikte Austerität ohne einen großen Einbruch der
Wirtschaft zu bewerkstelligen sei. Mittlerweile ist klar, dass das nicht geht.
Das beste Beispiel
ist Griechenland. Die Austeritätspolitik, die Griechenland diktiert wurde, ließ
– zusammen mit der Finanzkrise – das griechische BIP um 25% einbrechen und die
Arbeitslosigkeit explodieren.
Zwar nähert sich Griechenland durch die austeritätsbedingte
Deflation (sinkende Preise) dem deutschen Preisniveau an, jedoch sind die
sozialen Folgen nicht so lange zumutbar bis Griechenland das deutsche
Preisniveau erreicht hat. Es wäre daher an der Zeit, dass Deutschland eine
etwas expansivere Politik fährt, um Griechenland und den anderen Krisenländern
mit seinem Preisniveau entgegen zu kommen. Eine etwas höhere Inflation ist
nämlich – im Gegensatz zu Deflation – nicht so schädlich für eine
Volkswirtschaft und geht typischerweise mit hohem Wirtschaftswachstum und
niedriger Arbeitslosigkeit einher.
Jedoch streiten die verantwortlichen
Politiker bis heute jegliche Mitschuld Deutschlands an dem Ungleichgewicht ab
und weigern sich dagegen, das deutsche Preisniveau anzupassen. Es wird
bestritten, dass der deutsche Exportüberschuss ein Problem ist, weil nicht
verstanden wird, dass ein Überschuss in Deutschland ein Defizit anderswo
bedeutet.
Richtig ist jedoch, dass man ein Defizit nicht abbauen kann, wenn die
Handelspartner ihren Überschuss nicht verringern wollen. Es ist daher unsinnig,
von den Defizitländern zu verlangen, ihre Defizite abzubauen, gleichzeitig aber
seinen Überschuss zu verteidigen.
Man zwingt also –
entgegen jeglicher Logik – die Defizitländer weiter Austeritätsprogramme
umzusetzen und den unsinnigen Kampf um ein (relativ!) niedriges Preisniveau
weiter zu betreiben.
Die EZB – deren
Aufgabe es ist, für eine durchschnittliche Inflation von nahe 2% zu sorgen –
kann dem Kampf der Länder um möglichst niedrige Inflation (bzw. möglichst hohe
Deflation) mittlerweile nichts mehr entgegen setzten, da sie mit einem Leitzins
von de facto Null am Limit ihrer geldpolitischen Möglichkeiten angelangt ist.
In ihrem verzweifelten Kampf gegen Deflation begann sie dieses Jahr ein
„Quantitative Easing“-Programm, dessen beschränkte expansive Wirkung jedoch mit
erheblichen Risiken verbunden ist.
Die Krisenländer
müssen im Übrigen hoffen, dass Deutschland nicht irgendwann selbst auf
Deflationskurs geht, um sein (im Vergleich zu den anderen) niedriges
Preisniveau und damit seine Exportmärkte zu verteidigen. In diesem Fall könnten
die Defizitländer ewig Austerität und Deflation betreiben und würden
Deutschland trotzdem nie einholen.
Dass das Ungleichgewicht
jedoch nicht ewig aufrecht zu erhalten ist, sollte jedem klar sein. Wenn die
Preisniveaus nicht angepasst werden, wird früher oder später der Euro
zerbrechen.
Der große Verlierer wäre
dann aus zwei Gründen Deutschland selbst.
Zum ersten müsste
Deutschland einen erheblichen Teil seiner Auslandsforderungen abschreiben, da
die Schuldner mit einer neuen Währung niemals die auf Euro lautenden Schulden
bedienen könnten. Die deutschen Nettoexporte, die von deutschen Arbeitnehmern
zu unverhältnismäßig niedrigen Löhnen produziert wurden, würden dann nie
bezahlt werden. Das würde erhebliche Lasten für den deutschen Staat bedeuten,
auf den in den kommenden Jahrzehnten ohnehin große finanzielle Schwierigkeiten
durch die demographische Entwicklung zukommen. (Die Bankenlobby hat erreicht,
dass die Staaten den privaten Banken ihre fragwürdigen Forderungen abkaufen –
deshalb haftet nun die Gemeinschaft für Zahlungsausfälle.)
Zweitens verliert
Deutschland an dem Tag, an dem es eine Währung mit gleichgewichtigem
Wechselkurs einführt alle Exportmärkte, die auf dem derzeit zu geringen
Preisniveau basieren. Der Exportsektor würde zusammenbrechen und die
Arbeitslosigkeit würde quasi über Nacht dramatisch ansteigen. Das hätte
ebenfalls erhebliche negative Konsequenzen.
Es wird deshalb Zeit,
dass die Bundesregierung eine expansivere Wirtschaftspolitik betreibt. Der
Mindestlohn von €8,50 reicht bei weitem nicht aus. Das ist zwar kurzfristig
schlecht für die deutsche Exportindustrie – weshalb es so große Widerstände
dagegen gibt – dafür langfristig gut für alle Menschen in Deutschland und
Europa.
Fußnoten:
1
|
“At this point the European
imbalance problem is a German problem, caused by Germany’s persistent failure
to have wage and price increases in line with what the euro requires. This
German undervaluation is in turn exporting deflation to the rest of Europe.
By contrast, France, Spain, and even Italy have been playing by the rules.”
Paul Krugman: “The European
Outlier,” The Conscience of a Liberal, NY Times Blog, 30. November 2013
|
2
|
“What is a problem, however, is that Germany has effectively
chosen to rely on foreign rather than domestic demand to ensure full
employment at home, as shown in its extraordinarily large and persistent
trade surplus, currently almost 7.5 percent of the country's GDP. Within a
fixed-exchange-rate system like the euro currency area, such persistent
imbalances are unhealthy … Importantly, Germany's large trade surplus puts
all the burden of adjustment on countries with trade deficits, who must
undergo painful deflation of wages and other costs to become more
competitive. Germany could help restore balance within the euro zone … by
increasing spending at home, through measures like increasing investment in
infrastructure [and] pushing for wage increases for German workers”
Ben Bernanke: “Greece and Europe:
Is Europe holding up its end of the bargain?” Ben Bernanke’s Blog, 17. Juli
2015, brookings.edu
|
3
|
“German inflation,
which was below the rest of the Eurozone, will have to be above inflation in
the rest of the Eurozone for some time. These are the rules of the game for a
monetary union.
As Germany is the
outlier, this is a problem of Germany’s making. … A price it should pay for
undercutting its neighbours is to experience a period of above ECB target
inflation (e.g. 3% CPI inflation, which probably means nominal wage increases
of something between 4% and 5%). If that is not going to happen, Germany should
stimulate its economy to ensure it does.”
Simon Wren-Lewis: “Can
a country be too competitive?” Mainly Macro (blog), 13. September 2013.
|
4
|
Heiner Flassbeck: “Eine
heftige und grundsätzliche Euro-Diskussion im August – weniger wichtig, aber doch
erwähnenswert,” Flassbeck-economics (blog), 3. September 2015
|
5
|
“it neglects the role of Germany, by far the largest member state, and
its contribution to the imbalances in the years preceding the Crisis. … For the
ideal functioning of the EZ, unit labour costs of each member state should
increase in line with the inflation target of the ECB. This would lead to
national inflation rates close to the ECB target rate. Compared to this
benchmark rate … wages in the German economy were almost 20% too low in 2008”
Peter Bofinger:
“German wage moderation and the EZ Crisis,” VoxEU, 30. November 2015
|
Beitrag ursprünglich veröffentlicht auf vwl-verstehen.de.tl im Oktober 2015; erweitert um das Zitat Peter Bofingers vom November
2015
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